Geschichten von den Balkonen Tbilisis

Tbilisi ist eine Stadt, die spricht — und ihre Balkone sind die Stimme. Die hölzernen Konstruktionen über den bunten Fassaden sind mehr als Architektur, sie sind Erinnerungsträger. Am Morgen werden hier Basilikumpflanzen gegossen, Wäsche weht wie kleine Fahnen, Nachbarn tauschen laut Neuigkeiten aus, und Katzen regieren die Dächer wie Wächter. Diese Balkone haben alles gesehen: erste Küsse, Hochzeitsgelächter, nächtliche Gespräche, stille Abschiede. Jeder Stadtteil hat seinen eigenen Klang: Betlemi ist poetisch, Sololaki elegant, Chugureti vielsprachig, Abanotubani dampft von Geschichte. Lange vor Telefonen wurden hier Nachrichten ausgetauscht, Körbe an Seilen hochgezogen, Lieder durch offene Fenster geteilt. Besucher suchen das echte Tbilisi — und es wartet bereits über ihnen, in Holz geschnitzt, von Sonne und Zeit berührt.

Für Fotografen sind sie ein Traum: rissiges Holz, Schatten voller Poesie, wilde Reben, ehrliche Schönheit. Legenden erzählen von geheimen Balkon-Liebesbriefen aus Kerzenlicht und Künstlern, die statt Worte Farben nutzten. In Tbilisi lebt das Leben nicht hinter verschlossenen Türen, sondern nach außen — geteilt mit dem Himmel und den Straßen. Viele kommen wegen der Berge und des Essens, doch sie gehen und erinnern sich an die Balkone, an Geschichten, die man spürt statt hört. In Tbilisi lohnt es sich, langsam zu gehen, hochzuschauen und zuzuhören.